on 07 August 2007

Startrampe St. Petersburg

Das zwoelfte internationale Festival "Musical Olympus"

Bereits vor mehr als zwoelf Jahren hatte die aus St. Petersburg stammende Pianistin Irina Nikitina
Problematik nicht nur erkannt, sondern Konsequenzen aus ihren Beobachtungen gezogen. Problematik insofern, als die in Freizeit und Beruf mit Musik befassten Hoerer (und Musikbeobachter) von den Resultaten der weltweit stattfindenden Instrumental- und Vokalwettbewerbe vielleicht Notiz nehmen, allenfalls jedoch das Ergebnis erfahren, im guenstigsten Fall einen Schlussbericht in an diesem Geschehen noch interessierten Medien zu lesen bekommen. Selten genug gelingt es ja den Wettbewerbsveranstaltern, Rundfunk- und Fernsehanstalten zu groesseren Projekten zu ueberreden. Und dann ist es ein Gluecksfall, den meist spaeten Sendetermin ausfindig machen oder in den eigenen Zeitplan einbauen zu koennen. Das Meiste, was auf dem Sektor der Hochbegabtenauslese, der Talentsuche und der Sensationsfindung (im besten Sinne, versteht sich) stattfindet, geht in der allgemeinen Nachrichtenflut unter. Gelegentlich hoert man dann von diesem oder jenem Kuenstler, der vor ein paar Jahren in Muenchen, Athen, Genf, Zuerich, Tiflis oder Paris erfolgreich war  - ueberrascht, ja konsterniert, was an besten Begabungen, ja fertigen Kuenstlern unterwegs ist und dennoch fuer viele Musikinteressierte unerkannt seinen Aufgaben nachgeht.


Irina Nikitinas Idee war es nun, ueber einen groesseren Zeitrum hinweg die internationale Musikszene zu beobachten, um dann - auch beratschlagt von Personen ihres Vertrauens - eine Auswahl unter erfolgreichen Pianisten, Geigern, Cellisten, Bloesern und Saengern zu treffen, wobei keineswegs ein erster Preis fuer die Einladung auf den "Musical Olympus" ausschlaggebend sein muss. Die Auswahl folgt dem Prinzip der subjektiven Wertschaetzung, der Zukunftschancen eines jungen - mitunter auch gar nicht mehr so jugendlichen  Interpreten, der Berufsfoehigkeit - kurzum: ein dritter Preis konnte ebenso zu einem Engagement in die russische Zaren-Metropole fuehren wie ein glanzvoller Sieg. Die Erfahrung lehrt ja, dass sich nicht wenige der heute gefragten, namhaften Musiker in entscheidenden Wettbewerben mit zweiten, oft auch hinteren Raengen begnuegen mussten , wie etwa Cyprien Katsaris 1972, als er in Bruessel Neunter wurde.

Nun kommt unter dem Reglement des "Musical Olympus"-Festivals hinzu, dass die Interpreten nicht nur fuer ein oder zwei Auftritte in die Ermitage, in den beruehmten Saal der Philharmonie oder in die prachtvoll restaurierte Staatliche akademische Kapelle gebeten werden, sondern fuer eine ganze Weile Gaeste der "Musical Olympus" Foundation sind. Und mit ihnen Vertreter der internationalen Medien, Agenten, Veranstalter, die nun Gelegenheit haben, einen Musiker nicht nur im Verlauf eines Recitals, eines Recitalabschnitts oder eines Soloauftritts mit Orchester zu erleben, sondern auch auf dem gesellschaftlichen Parkett und in Form von privaten Begegnungen. Hier leistet das Festival mit speziellen Einladungen, mit gemeinschaftlichen Ausfluegen und - wie zumindest in den frueheren Jahren - einer naechtlichen Bootsfahrt erheblich Vorschub, zumal die sogenannten "Weissen Naechte" zur Zeit des Festivals Ende Mai und Anfang Juni jegliche Muedigkeit am Abend vertreiben.

Mit einer "Vivat, Olympus!" Festouvertuere des 2006 verstorbenen russischen Komponisten A. Petrov wurde am 26. Mai die Zusammenkunft der Erfolgreichen im kleinen, schmucken Theater des Ermitage-Palastes eroeffnet. Sergei Koudriakov (Gewinner des Zuercher Gaeza Anda-Wettbewerbs 2006) war es, der mit einer technisch sicheren, im Ausdruck noch etwas monochromen Deutung des Grieg-Klavierkonzerts die Reihe der Instrumentalisten anfuehrte. Ihm folgten an diesem bunten, sehr informativen Abend mit dem Akademischen Symphonieorchester St. Petersburg unter der Leitung von Alexander Sladkovsky die klanglich meist dunklen Erwaegungen des russischen Posaunisten Alexander Gorbunov, der 2005 den ausschliesslich auf sein Instrument konzentrierten Wettbewerb in Budapest gewinnen konnte. Waehrend ein Posaunist es nicht leicht hat, mehr als nur gefaelliges Repertoire zur Diskusssion zu stellen (in diesem Fall musste sich Gorbunov mit dem modernistisch-seichten Konzertchen Henri Tomasis (1901-1971) zufrieden geben!), so war es einem Cellisten wie dem Russen Anton Pavlovsky gegeben, mit Dvoraks h-Moll-Konzert nicht nur gut drei Mal so ausfuehrlich, sondern auf hoechstem literarischen Niveau zu spielen. Pavlovsky - vital im Zugriff, mit noblem Ton, sozusagen auf zuchtvolle Weise sein Publikum fesselnd - gewann im vergangenen Jahr den Zweiten Preis im Wettbewerb des "Prager Fruehlings."

Gefragt nach den wichtigsten, wesentlichsten St. Petersburger Erlebnissen - verbunden mit einer Empfehlung an die Konzertveranstalter mit Entdeckerqualitaeten - moechte ich zwei junge Persoenlichkeiten herausheben, von denen die eine gerade den Kinderschuhen entwachsen ist. Zum einen handelt es sich um den 15jaehrigen russischen Klarinettisten Nikita Lutikov, der sich 2006 im Internationalen Mrawinskij-Wettbewerb fuer junge Musiker durchgesetzt hat.

Eine gewinnende Podiumserscheinung, ungemein sicher, ja reif in seinen gestalterischen Massnahmen, brillant und sachdienlich zugleich, wovon die schoenen Nebensдchlichkeiten eines virtuosen "Concours" Duos von Andre Messager profitierten. Zum anderen - und das zeigte, dass auf dem Olympus 2007 nicht nur Russen zugegen waren - war es der ungarische Hornist Szabolcs Zempleni, dem eine ueberlegene, von allen technischen Huerden unbehinderte Wiedergabe des Hornkonzerts Nr. 1 (op. 11) von Richard Strauss gelang. Zempleni gewann 2005 den Muenchner ARD-Wettbewerb - eine Konkurrenz, an deren Ende nur selten ein Musiker mit einem ersten Preis bedacht wird.

Dirigent dieses Konzerts war der aus Singapur stammende Darrell Ang, dem 2006 der Siegerscheck des Antonio Pedrotti-Wettbewerbs im suedtirolerischen Trento ueberreicht wurde.

Ein Mann von klarer Zeichengeometrie, energischer Willenskundgebung und offensichtlich mit guenstigem Einfluss auf die Mitarbeitsbereitschaft eines Orchesters, wie nicht zuletzt die Einstudierung des Violakonzerts von Schnittke zeigte (mit dem sehr erfahren, fast schon ein wenig abgebrueht wirkenden Russen Ilya Hoffman als Solisten, dem Sieger des Internationalen Musikwettbewerbs Wien 2005).

Wie nicht wenige Festivals in letzter Zeit, so versucht auch der "Musical Olympus" mit seinem Programm und mit seinen Kuenstlern Aufmerksamkeit auch ausserhalb des Landes zu wecken. So gastierte man mit einer Auswahl von Interpreten des Vorjahres in der New Yorker Carnegie Hall. Unter ihnen die jetzt 20jaehrige georgische Pianistin Khatia Buniatishvili. Ich hoerte sie erst kuerzlich im Rahmen von Gidon Kremers "Lockenhauser Kammermusikfest" im oesterreichischen Burgenland, wo sie geradezu atemberaubend wirbelnd, mit enormer kreativer Energie und Fantasie Liszts Mephisto-Walzer Nr. 1 auf Touren und auf Hoechsttemperatur hielt. Sie studiert inzwischen in Wien bei Oleg Maisenberg. Von ihr, dessen bin ich gewiss, wird man hoeren, denn sie bewoehrte sich nicht nur als Solistin, sondern auch als gewitzte, hellhoerige Kammermusikerin.

Natuerlich praesentieren sich bei einem Festival wie dem "Musical Olympus" auch Interpretinnen und Interpreten, die sich seit ihrem Wettbewerbserfolg auf einer Durststrecke befinden, eine menschlich-berufliche Wandlung erfahren, unter Umstaenden auch mit einer Identitoetskrise zu koempfen haben. Das ist das Leben, das ist - herb ausgedrueckt - der Betrieb mit all seinen Moeglichkeiten, Enttoeuschungen und Schwierigkeiten. Die Saenger koennen davon nicht nur ein Lied, sondern ganze Arien singen!

Zu ueberzeugen immerhin vermochte die Irlaenderin Celine Byrne als Traegerin des "Grand Prix" im Rahmen des Callas-Wettbewerbs von Athen (2007). Als Madame Butterfly und als Nedda in Leonavallos I Pagliacci weiss sie zu formen, die Aufmerksamkeit auf sich und die jeweilige Situation zu lenken, Vorzuege, die - freilich auf instrumentaler Ebene - auch den rumaenischen Cellisten Mihai Marica auszeichnen, der 2006 einen "Dr. (!) Luis Sigall" Wettbewerb im chilenischen Vina del Mar gewonnen hat. Auch der aus Venezuela kommende Trompeter Francisco Flores ueberzeugte als souveraener Beherrscher seines Instruments. Hier indes mangelte es einmal mehr am Vorhandensein eines wirklich attraktiven Stueckes zur Verifizierung seines gestalterischen Vermoegens. Ein Konzert von Alexander Arutyunyan aus dem Jahr 1950 bot dem Gewinner des Pariser "Maurice Andre"-Wettbewerbs nur begrenzte Chancen, ueber den technisch abgesicherten Vollzug der Partitur hinaus seine musikalischen Ansichten zu offenbahren, gar nicht zu reden von den spieltechnischen Moeglichkeiten, die neuere Arbeiten aus der Posaunenszene erfordern und eroeffnen wuerden.

 

Author: Peter Cosse Edition: Klassik Heute Date: 07.08.2007